++ Pressemeldung ++
Lesungshonorare: Veranstalter zahlen seit der Corona-Krise (noch) weniger
Berlin, 17. Oktober 2023
In keinem anderen Land der Welt sind Lesungen von Autor:innen aus ihren
Büchern so beliebt beim Publikum wie in Deutschland. Ob im Buchladen, in Literaturhäusern oder an
außergewöhnlichen Orten wie Dampfsauna oder Weinbar, auf Festivals oder auch in diesem Jahr im
Umfeld der Frankfurter Buchmesse mit aberhunderten Veranstaltungen, Podien und Lesungen:
Buchaffine profitieren von einer einzigartigen Vorlese-Kultur, die das regionale Literaturleben
bereichern. Bei Buchmessen erhalten viele Autoren und Autorinnen für ihren Einsatz allerdings kein
Honorar – eine »Branchenüblichkeit«, die von Schriftsteller:innen als selbstverständlich erwartet wird.
Doch auch jenseits der Buchmessen hat die angemessene Vergütung für die Vortragsarbeit der Buch-
Autoren und Autorinnen Seltenheitswert – und insbesondere seit der Corona-Krise zahlen
Veranstalter noch weniger Geld, wie die repräsentative Umfrage des Netzwerk Autorenrechte (NAR)
nachwies. Von den Empfehlungen des Verbands deutscher Schriftsteller*innen (VS) in Verdi seit dem
Jahr 2023 über 500 Euro sind die realen Gagen mit im Schnitt 165 Euro weit entfernt.
Die wichtigsten Ergebnisse der Netzwerk-Autorenrechte-Umfrage zu Lesungshonoraren im Überblick
Zahlen aus der Corona-Krise
▪ Im Jahr 2021 wurden hochgerechnet 46.650 bereits vereinbarte Lesungen abgesagt.
▪ Im Jahr 2022 waren „nur noch“ etwas über 20.000 Leseveranstaltungen von Absagen
betroffen. In diesen Zahlen nicht enthalten sind natürlich all jene Veranstaltungen – zum
Beispiel Festivals – die gleich gar nicht gebucht wurden.
▪ Im Jahr 2022 wurden mit öffentlichen Förderungen hochgerechnet 50.240 einzelne Lesungen
(auch innerhalb von Festivals) organisiert. Was zunächst viel klingt, relativiert sich, da je Autor
und Autorin nur von knapp 3 geförderten Lesungen in zwei Jahren profitierten (pro Jahr: 1,5).
▪ Im Schnitt verloren Autor:innen jedoch 3,5 Lese-Gagen pro Jahr.
▪ Fördermittel zur Überbrückung der Ausfälle durch die Corona-Krise, wie etwa von NEUSTART
KULTUR oder Länder-Programmen, wurden in den Jahren 2021 und 2022 vorwiegend für die
Buchung bekannter Namen eingesetzt, der weniger bekannte „Midlister“ oder neue Stimmen
gingen leer aus. Im Schnitt erhielten Autor:innen 1,5 / Jahr durch den Bund geförderte
Lesung. Damit kompensierten die eingesetzten Mittel nicht annähernd die realen Ausfälle.
Zahlen nach der Corona-Krise
▪ Durchschnittsgagen ohne Förderungen reduzierten sich von 178-196 Euro pro Lesung im Jahr
2016 auf 165 Euro im Jahr 2022; im Gesamtmittel verteilten sich alle Erlöse in den Jahren
2021 und 2022 auf 100 Euro pro Lesung pro Autor.
▪ Insgesamt lesen Autor:innen seit der Krise seltener und zudem für weniger Geld als zuvor.
Fazit
Die Krise hält für die Quellen der gesamten Buchwirtschaft, die Autor:innen und Übersetzer:innen,
weiterhin an: Seit der Pandemie wird ihnen noch häufiger kein oder zu geringes Honorar für ihre
Vortragsarbeit, auch bei für Besucher kostenpflichtigen Veranstaltungen, angeboten. Die
Rechtfertigungen reichen von ‚kein Etat’ bis hin zu ‚ist doch Werbung‘. Von den Kommunen kurz
gehaltene Kulturbetriebe oder von ehrenamtlichen wie professionellen Veranstaltern wird weiterhin zu
oft an den guten Willen der Autoren und Autorinnen appelliert. Der Etat für angemessene
Künstler:innenhonorare bleibt der kleinste Budgetfaktor, obgleich ohne die Akteure selbst keine
Veranstaltung möglich wäre.
Auf diese Weise subventionieren Schriftsteller und Schriftstellerinnen die lokale Lesekultur.
Hintergrund
Gerade für hauptberufliche Autor:innen und jene mit Neuerscheinungen sind Lesungen ein wichtiger
Einkommensfaktor und auch eine Grundlage zum Verbleib in der Künstlersozialkasse (KSK). Das
zeigte sich während der Pandemie, als die Corona-Schutzmaßnahmen zum Ausfall von aber-
tausenden Life-Veranstaltungen führte und damit drastische Einkommensverluste nach sich zog; im
Median 50%, wie die Lesungsumfrage des NAR berechnete, in manchen Genres wie Kinderbuch oder
Belletristik bis zu 80%, wie das European Writers‘ Council (EWC) 1 in 2022 nachwies.
Insgesamt sind die Umsätze der ca. 30.000 bei den Finanzämtern registrierten Schriftsteller:innen in
Deutschland im Jahr 2022 um 100 Mio. Euro 2 auf 794,9 Mio. Euro gesunken; dies hat negativen
Einfluss auch auf Einzahlungen in Sozial- oder Rentenversicherungssysteme. Insgesamt gilt die
Corona-Krise als große Ruptur, die die freischaffenden Autoren und Autorinnen wirtschaftlich
ungeschützt schultern. Autor:innen waren z.B. vom struktureller Corona-Kompensation
ausgenommen, konnten sich nur via Anträgen über Veranstalter für Unterstützungsleistungen
bewerben, und Corona-Hilfen waren nur an Betriebsausgaben, aber nicht an die Deckung der
Lebenshaltungskosten gebunden. Auch waren die Sofortprogramme der Länder maximal divers, nur
wenige Bundesländer haben Stipendien- oder vergleichsbare Literaturförderprogramme aufgelegt.
Daten zur Erhebung
530 Schriftsteller:innen aus 16 professionellen Verbänden allen Genres und aus allen Bundesländern
der D-A-CH-Region haben anonymisiert an der Erhebung teilgenommen, und Auskunft über sensible
Details wie Honorarhöhen, Anreise-Bedingungen, Fördermitteleinsatz und die Entwicklung der
Honorarhöhen vor, während und nach der Pandemie gegeben. Das Netzwerk Autorenrechte (NAR),
das 16 Organisationen professioneller Buch-Autor:innen und Übersetzer:innenverbände vereint, führt
seit 2014 ein Monitoring über Lesungshonorare durch, evaluiert von Daniel Carinsson (Syndikat e.V.).
An der Befragung 2023 nahmen die Mitglieder folgender 13 Verbände und Vereinigungen teil: 42erAutoren e.V., A*dS Autorinnen und Autoren der Schweiz,, BVjA - Bundesverband junger Autoren und
Autorinnen e.V. , DELIA Vereinigung deutschsprachiger Liebesautorinnen und -autoren, HOMER
Historische Literatur e.V., IG Autorinnen Autoren (Österreich), Mörderische Schwestern e.V., Phantastik-
Autoren-Netzwerk (PAN) e.V.,, PEN Zentrum Deutschland, Selfpublisher-Verband e. V., Syndikat e.V. –
Verein für deutschsprachige Kriminalliteratur, VdÜ – Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen
literarischer und wissenschaftlicher Werke e. V., Verband deutscher Schriftsteller*innen (VS) in ver.di.